Es gibt Momente, in denen mein Herz sich anfühlt, als würde es zerrissen. Solche Augenblicke habe ich in meinem Leben schon erlebt, aber hier in Cambodia werden sie auf eine neue, tiefere Ebene gehoben. Noch nie habe ich an einem Ort wie diesem gearbeitet oder in einem Projekt wie diesem mitgewirkt. Die Armut, die ich hier sehe, ist anders, unmittelbarer, als ich es jemals erlebt habe. Und doch ist genau das ein wertvolles Learning – eine Lehre für mich selbst.
Jeden Tag rennen Kinder freudestrahlend auf mich zu, ihre Stimmen hallen schon aus der Ferne: „Teacher, Teacher, Teacher! I’m so happy to do Karate with you!“ Diese Worte erreichen mich mit einer Wucht, die mich überwältigt. Sie fühlen sich wie eine Mischung aus Ehre, Freude und Verantwortung an. Diese Kinder – so wenig sie auch haben – zeigen eine pure Begeisterung für etwas so Einfaches wie Karate. Es zeigt mir, wie wenig es manchmal braucht, um Freude zu bringen.
Reduktion auf das Wesentliche
Das Leben hier ist in vielerlei Hinsicht entspannter und einfacher. Es reduziert sich auf das Wesentliche, was mich dazu zwingt, kreativ zu werden. Ein Beispiel? Hafermilch. Etwas, das ich in meinem Alltag zu Hause für selbstverständlich hielt, habe ich hier zum ersten Mal selbst hergestellt. Es mag banal klingen, aber mein Morgenkaffee ist ein Stückchen Heimat für mich, ein kleines Ritual, das mir das Gefühl von Normalität gibt.
Doch während ich mich mit solchen Herausforderungen arrangiere, stoßen mich andere Dinge auf tiefere Fragen. Warum wird so viel Müll einfach in die Natur geworfen? Warum behandeln Menschen die Erde so achtlos – ihren einzigen Lebensraum? Vielleicht, weil sie mit fast nichts aufgewachsen sind und nie gelernt haben, den Wert von Dingen zu schätzen. Doch paradoxerweise habe ich beobachtet, dass auch Menschen, die viel besitzen, oft verschwenderisch sind, weil sie immer wieder Neues kaufen können.
Ich begreife, dass wir niemandem Vorwürfe machen können, wenn er nie gelernt hat, die Wertigkeit von Dingen zu erkennen. Stattdessen sollten wir uns darauf konzentrieren, gemeinsam Werte zu entdecken und zu vermitteln.
Karate unterrichten: Eine Begegnung mit Potenzial
Fünf Tage die Woche unterrichte ich Karate. Drei bis fünf Stunden täglich, auf nacktem Steinboden. Mein einziges Hilfsmittel? Ein Seil, das als Orientierungslinie dient. Es ist faszinierend, wie schnell die Kinder Fortschritte machen. Ihr Potenzial ist riesig, und doch bleibt es oft ungenutzt – nicht, weil sie nicht könnten, sondern weil die Umstände sie bremsen.
Die Sala Monkey Language and Arts School ist ein Ort mitten im Nirgendwo, an dem Englisch, Ballett und Karate unterrichtet werden. Doch all das hängt von Freiwilligen ab. Spenden sind knapp, und wenn das Geld ausgeht, steht der Unterricht still.
Eines Morgens, auf dem Weg zurück vom Markt, hielt Tracy, die Gründerin der Schule, plötzlich das TukTuk an. Drei Kinder liefen am Straßenrand. Sie hatte eine Ahnung und fragte: „Kam der Lehrer wieder nicht?“ Die Antwort der Kinder: „Nein, wir haben eine Stunde gewartet, dann sind wir nach Hause gegangen.“
Diese Szene hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Das kambodschanische Schulsystem ist von Korruption durchzogen. Lehrer verlangen Geld, damit Kinder in die nächste Klasse kommen. Diejenigen, die es sich nicht leisten können, werden abgehängt. Bildung wird hier zu einer Ware, die nur wenigen zugänglich ist.
Der Kampfgeist der Kinder – und meiner
Die Korruption und Ungerechtigkeit machen mich wütend, aber sie motivieren mich auch. Ich träume davon, einen Ort zu schaffen, an dem Bildung nicht vom Geldbeutel abhängt. Gleichzeitig lerne ich, dass Idealismus allein nicht ausreicht. Alles kostenlos anzubieten, ist auf Dauer nicht tragbar. Ich denke über Partnerschaften nach, über Unternehmen, die helfen könnten. Mein Kopf arbeitet ständig daran, Lösungen zu finden.
Trotz der Schwierigkeiten ist es erfüllend zu sehen, wie begeistert die Kinder sind. Ein elfjähriger Junge fragte mich einmal: „Hast du als Karate Ninja schon mal gekämpft, weil du Ärger hattest?“ Ich antwortete ehrlich: „Nein. Der beste Kämpfer ist der, der nicht kämpfen muss.“
Dieser Junge hat selbst viel Gewalt erlebt. Gemeinsam lernen wir, Emotionen zu regulieren. Sport ist dabei ein großartiges Hilfsmittel. Nachdem er mir von einer seiner schlimmen Erlebnisse erzählt hatte, lief er fröhlich zum Englischunterricht. Ich blieb zurück – mit Tränen in den Augen und der Erkenntnis, wie wichtig es ist, für Kinder ein sicherer Hafen zu sein.
Frauen und Stärke
Besonders beeindruckt hat mich die Reaktion der Mädchen, die Karate bei mir lernen. Sie sagten, es sei schön, eine Frau zu sehen, die stark ist – nicht nur körperlich, sondern auch mental. Oft zeigen die Mädchen im Unterricht sogar mehr Power als die Jungs. Ihr Kampfgeist, ihre Stärke und ihr Enthusiasmus sind inspirierend.
Was ich mitnehme
Ich bin hierhergekommen, um etwas zu geben, aber ich nehme mindestens genauso viel mit. Ich lerne, Grenzen zu setzen und dennoch offen zu bleiben. Ich lerne, dass kleine Gesten – ein Lächeln, ein freundliches Wort, ein Moment der Aufmerksamkeit – oft einen größeren Unterschied machen, als wir denken. Und ich lerne, dass Stärke nicht in der Härte liegt, sondern in der Fähigkeit, Mitgefühl zu zeigen.
Der Kampfgeist ist geweckt – in den Kindern und in mir. Und ich weiß: Egal, wie groß die Herausforderungen sind, jeder kleine Schritt macht einen Unterschied.
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